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Das FIfF verleiht die Weizenbaum-Medaille an Prof.in Dr.in Dr.in h.c. Christiane Floyd

Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) verleiht im Rahmen der FIfF-Konferenz am 13. November 2021 in München den Weizenbaum-Ehrenpreis 2021 in Form der Weizenbaum-Medaille an Prof.in Dr.in Christiane Floyd für ihre außerordentlichen Verdienste um die Informatik im gesellschaftlichen Kontext.

Weizenbaum-Medaille

Das FIfF stiftet den Weizenbaum-Ehrenpreis in Erinnerung an den Wissenschaftler und Informatik-Pionier Professor Dr. Joseph Weizenbaum, der über Jahrzehnte hinweg einen kritischen Blick auf die Entwicklungen und Auswirkungen der Informatik geworfen und seine Standpunkte streitbar vorgetragen hat. „Mit der Vergabe des Preises wollen wir auch die Bedeutung der Informatik für die gesellschaftliche Entwicklung betonen und auf die kritische, öffentliche Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und Artefakten der Informatik dringen“, erläutert der FIfF-Vorsitzende Stefan Hügel.

Die diesjährige Preisträgerin Christiane Floyd hat ihr Fach Softwaretechnik in Forschung und Lehre einzigartig geprägt. Mit ihren Forderungen nach Partizipation von Nutzenden und Betroffenen bei der Systementwicklung sowie nach Berücksichtigung sozialer und ethischer Anforderungen hat sie die Softwaretechnik maßgeblich beeinflusst und unter Einbeziehung sozialwissenschaftlicher, ethischer und philosophischer Gesichtspunkte beispielhaft ausgestaltet. Das FIfF-Vorstandsmitglied Professorin Dr. Britta Schinzel ergänzt: „Christiane Floyd hat ihr Fach im Sinne einer gesellschaftlichen Verantwortung für die Informatik aufgefasst, gestaltet und gelebt – eine außergewöhnliche Persönlichkeit und ein großes Vorbild.“

„Christiane Floyds Ideen sind heute im Fach weitgehend akzeptiert, aber keineswegs immer durchgesetzt“, stellt FIfF-Vorstandsmitglied Professor Dr. Hans-Jörg Kreowski fest. Die Beteiligung von Benutzenden an der Software-Entwicklung in deren Kontexten ist inzwischen Standard. Ethischen Rücksichten steht jedoch neben immer noch mangelnder Einsicht die undurchdringliche Komplexität heutiger Plattformen, Software-Lösungen und aufkommender Anwendungen von Künstlicher Intelligenz im Wege. „Es scheint, dass die lautstarken Forderungen und Initiativen zu Ethik in der Künstlichen Intelligenz als Vorwand dienen, institutionelle und rechtliche Regulierungen dieser unkontrollierbaren Technik vermeiden zu wollen“, so Professor  Kreowski weiter.

Darüber hinaus engagiert sich Christiane Floyd seit 20 Jahren in Äthiopien beim Aufbau des Informatikstudiums und arbeitet mit äthiopischen Kolleginnen und Kollegen in einem Projekt zusammen, das mit Hilfe einer App die Mütter- und Kindersterblichkeit senken soll.

Christiane Floyd war mit ihrer Berufung an die Technische Universität Berlin 1978 die erste Professorin in der Informatik im deutschen Sprachraum. 1984 hat sie sich mit Nachdruck und Engagement an der Gründung des FIfF beteiligt und wurde zu dessen erster Vorsitzenden gewählt.

Zur Person der Preisträgerin

Christiane Floyd wurde 1943 in Wien geboren. Sie studierte dort Mathematik und promovierte 1966 mit einem Thema aus der Algebra.   Danach ging sie nach München, um bei Siemens an der Entwicklung eines ALGOL-Compilers mitzuarbeiten. Von 1968 bis 1973 arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stanford im KI-Projekt DENDRAL von Edward Feigenbaum. Danach ging sie als Leiterin des Bereichs Methodenentwicklung der Firma Softlab nach München zurück. Sie hat dort maßgeblich die weltweit erste Programmentwicklungsumgebung „Maestro“ mitentwickelt.
Spätestens da fiel ihr auf, dass die Arbeit der Entwicklerinnen und Entwickler durch die Zentrierung auf Formales und Technik entfremdet war und plädierte, dass Informatik keine reine Technikwissenschaft sein dürfe, dass Grundlagen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften integriert werden und dass Entwickelnde und Anwendende in Dialog treten müssten. Auf ihrer Professur für Softwaretechnik an der Technischen Universität Berlin entwickelte sie zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe seit 1978 dazu mit STEPS (Softwaretechnik für evolutionäre und partizipative Systemgestaltung) die wissenschaftlichen Grundlagen. Diese Pionierleistung partizipativer Softwareentwicklung war anfangs sehr umstritten, ist inzwischen aber weitgehend akzeptiert. Für ihre weitergehende Forderung nach einer kontinuierlichen Einbeziehung ethischer Fragestellungen in Wissenschaft und Praxis der Informatik gilt das noch nicht.1991 nahm sie einen Ruf auf eine Professur für Softwaretechnik an der Universität Hamburg an, wo sie ihre bahnbrechenden Arbeiten bis zu ihrer Pensionierung 2008 fortsetzte.
Mit ihrer Berufung 1978 an die Technische Universität Berlin war sie die erste Informatik-Professorin im deutschen Sprachraum. 2012 wurde sie zur Honorarprofessorin der Technischen Universität Wien bestellt, 2017 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik der Universität Paderborn, und 2020 erhielt sie von der Klaus-Tschira-Stiftung und der Gesellschaft für Informatik den Klaus-Tschira-Preis.
Seit über 20 Jahren engagiert sich Christiane Floyd in Äthiopien, wo sie einen Promotionslehrgang in Informatik mitaufgebaut hat und in einem Projekt tätig ist, in dem sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Landes IT-Systeme für das Gesundheitswesen entwickelt. Sie hat sich an der Internationalen Frauenuniversität „Technik und Kultur“ (ifu) beteiligt – einem Hochschulreformexperiment anlässlich der Weltausstellung 2000 in Hannover. Sie hat auch mehrfach die jährlich stattfindende Informatica Feminale in Bremen als Dozentin unterstützt. Außerdem ist sie Gründungsmitglied und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und war von 1984 bis 1987 dessen erste Vorsitzende.

Zum Namensgeber des Preises

Joseph Weizenbaum wurde am 8. Januar 1923 in Berlin geboren. 1935 musste er mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland verlassen, studierte in den USA Mathematik und arbeitete ab 1955 bei General Electric an einem frühen Computersystem für die Bank of America mit. 1963 wurde Joseph Weizenbaum Visiting Professor, 1964 Associate Professor und 1970 ordentlicher Professor für Computer Science (Informatik) am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sowohl seine Arbeiten zu ELIZA entstanden als auch sein wegweisendes Buch Computer Power and Human Reason – From Judgement to Calculation (Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft). Ab den 1970er Jahren intensivierten sich seine Kontakte nach Deutschland mehr und mehr.
Lange vor der Gründung von CPSR (Computer Professionals for Social Responsibility) in den USA und vom FIfF nahm er deutlich Stellung gegen den Vietnamkrieg und den Bau von Anti-Ballistic-Missile-Systemen. Als in den 1980er Jahren die Kritik an der Strategic Defense Initiative der USA laut wurde, war er einer der Protagonisten dieser Kritik. Zur Gründung des FIfF 1984 brachte er hierzulande nur schwer zugängliche Strategiepapiere des Pentagon mit. 1996 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Berlin. Auf Vorschlag des Bundesministers des Auswärtigen wurde Joseph Weizenbaum am 25. Juli 2001 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Am 8. Januar 1998 erhielt er den Preis des FIfF, den wir heute unter seinem Namen als Weizenbaum-Medaille fortführen.