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FIfF-Ko 2/2007: Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel zum deutschen IT-Gipfel am 18. Dezember 2006 in Potsdam

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

wir, die unterzeichnenden Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft, begrüßen sehr, dass Sie die Schirmherrschaft über den so-
genannten deutschen IT Gipfel, der am 18. Dezember 2006 in Potsdam stattfindet, übernommen haben. Das Thema Informa-
tionsgesellschaft, dem die Vereinten Nationen in den Jahren 2003 und 2005 zwei Weltgipfel (WSIS) gewidmet haben, ist eine
der großen Herausforderungen unserer Zeit und die Bundesrepublik Deutschland einer der wichtigen globalen Akteure in diesem
Prozess. Dem Thema größeres Gewicht auch in der nationalen Politik zu geben, ist daher mehr als angebracht.

Im Zusammenhang mit dem geplanten IT Gipfel möchten wir jedoch Ihre Aufmerksamkeit auf zwei Punkte lenken, bei denen
nach unserer Ansicht wichtige Potenziale möglicherweise ungenutzt bleiben.

Das betrifft erstens die konzeptionelle Ausrichtung des Gipfels. Der IT Gipfel beschäftigt sich im Schwerpunkt mit dem IT Stand-
ort Deutschland. Dies wird natürlich von uns begrüßt, geht es doch auch darum, die wirtschaftlichen Möglichkeiten der neuen
Technologien für eine Erhöhung der ökonomischen Effi zienz, Marktanteile deutscher Unternehmen und neue Arbeitsplätze zu
erschließen. Nach unserer Ansicht aber verengt eine überwiegend technische oder wirtschaftliche Ausrichtung des IT Gipfels die
Chancen, Potenziale zu nutzen.

Im Rahmen des WSIS Prozesses wurde fünf Jahre lang über die verschiedenen Ansätze diskutiert mit dem Ergebnis, dass die tech-
nischen und wirtschaftlichen Aspekte nicht separiert werden können von den gesellschaftspolitischen und sozialen Implikationen
der neuen IT Technologien. In der WSIS Deklaration hat man sich daher auf ein breites Konzept von der Informationsgesellschaft
verständigt, das auf den Menschen orientiert ist. Das spiegelt sich auch in dem vom WSIS Prozess entwickelten Grundprinzip
wider, wonach die Gestaltung der Informationsgesellschaft die volle Einbeziehung von Regierungen, Privatwirtschaft und Zivil-
gesellschaft in ihren jeweiligen spezifi schen Rollen und Verantwortlichkeiten erfordert.

Das Internet mit seinen großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten schafft auch neue interaktive Formen der
Beziehungen zwischen den beteiligten Stakeholdern: zwischen Regierungen und Bürgern ebenso wie zwischen Anbietern und
Nutzern von Produkten und Dienstleistungen. Dieses Multistakeholder-Prinzip zieht sich durch alle vier WSIS-Gipfeldokumente.
Nach unserer Ansicht wird der deutschen IT Gipfel diesem Prinzip nur unzureichend gerecht. Die in den sieben Arbeitskreisen
des geplanten IT Gipfels berührten wirtschaftlichen Fragestellungen lassen sich nicht trennen von gesellschaftspolitischen Fragen
wie Meinungsfreiheit und Datenschutz im Cyberspace, Verbraucherschutz bei eCommerce, Bürgerbeteiligung bei eGovernment,
freie Software und offene Publikationsmodelle. All diese gesellschaftlichen Fragen sind auch von hoher wirtschaftlicher Relevanz.
Wirtschaftliche Projekte, die das Thema der digitalen Spaltung und/oder digitalen Ausgrenzung ignorieren, lassen zukünftige
Marktpotenziale ungenutzt.

Unser zweiter kritischer Punkt ist mehr formeller Natur. Für die deutsche Zivilgesellschaft ist auf diesem IT Gipfel kaum ein Platz
vorgesehen. Nach den Auskünften, die wir erhalten haben, wird lediglich ein Vertreter des Verbraucherschutzverbandes eingela-
den, der die Belange der Zivilgesellschaft mit abdecken soll. Begründet wird dies auch mit der begrenzten Raumkapazität für die
Tagung. Der Vorlesungssaal in dem Potsdamer Institut fasst nicht mehr als 200 Teilnehmer. Bei allem Respekt vor der konzeptio-
nellen Ausrichtung des Potsdamer IT Gipfels halten wir diese selektive Einladungspolitik für unausgewogen. Wie oben dargelegt,
ist eine solche konzeptionelle Verengung der eigentlichen Herausforderung an die Informationsgesellschaft nicht angemessen.
Die weitgehende Ausgrenzung der deutschen Zivilgesellschaft vom deutschen IT Gipfel steht diametral dem Konzept einer inklu-
siven Informationsgesellschaft entgegen. Wir hoffen sehr, dass dieser Eindruck noch korrigiert werden kann. Gerade die deutsche
Zivilgesellschaft hat sich im internationalen Rahmen im WSIS Prozess hohe Anerkennung erworben. Der IT Gipfel kann nur ge-
winnen, wenn er diese Ressourcen mit einbezieht. Das betrifft auch das vom Gipfel beschlossene follow up.

Die unterzeichnenden Vertreter der deutsche Zivilgesellschaft sind bereit, sich konstruktiv und innovativ an der Entwicklung der
Informationsgesellschaft in der Bundesrepublik zu beteiligen und damit den IT Standort Deutschland zu stärken. Wir möchten Sie
daher einladen, den Organisatoren des IT-Gipfels unser Anliegen zur Kenntnis zu bringen und dieses zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen
die Erstunterzeichner


* Christiane Aschenfeldt, Creative Commons
* Markus Beckedahl, Netzwerk Neue Medien, netzpolitik.org
* Ralf Bendrath, Universität Bremen
* Friedrich Dittmer, CECUA-Deutschland
* Christoph Dowe, politik-digital.de
* Olga Drossou, Heinrich-Böll-Stiftung
* Johnny Häusler, Spreeblick.com
* Uli Heimann, politik-digital.de
* Arne Hintz, Arbeitsstelle Medien und Politik, Universität Hamburg
* Dr. Jeanette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin, Mitglied IGF Advisory Group
* Werner Hülsmann, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V.
* Dr. Heike Jensen, Humboldt-Universität zu Berlin, Medienbeauftragte von Terre des Femmes
* Prof. Wolfgang Kleinwächter, Medienstadt Leipzig e.V., Special Adviser IGF Chair
* Prof. Rainer Kuhlen, Universität Konstanz, Vorsitzender von NETHICS e.V.
* Barbara Lison, Sprecherin von Bibliothek & Information Deutschland – Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände
* Oliver Moldenhauer, Attac
* Annette Mühlberg, Netzwerk Neue Medien
* padeluun, FoeBuD e.V.
* Dr. Wolfgang Sander-Beuermann, SuMa-e.V.
* Max Senges, Komitee für eine demokratische UNO
* Twister (Bettina Winsemann), STOP1984

Dieser Text erschien unter anderem in der FIfF-Kommunikation 2/2007 "Frau kann gar nicht früh genug anfangen - Frauen in die Informatik!"