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FK 2/2011: Brief an das FIfF

Ethik und Zivilisation

 

Liebe Mitglieder des FIfF, liebe Leserinnen und Leser,

ich vermag keine Freude zu empfinden beim Tod eines Menschen.

Vor einigen Tagen wurde in Pakistan Osama bin Laden erschossen. Es ist wohl davon auszugehen, dass er persönlich für den Tod tausender Menschen mindestens mitverantwortlich ist. Doch ist es nicht ein wesentliches Merkmal eines Rechtsstaats, auf den wir bei anderer Gelegenheit so stolz sind, dass jeder - jeder! - Mensch ein faires Verfahren verdient? Und sollte es nicht zum Grundbestand zivilisatorischer Werte gehören, Rachegefühle zumindest zu unterdrücken?

Vielleicht mache ich es mir zu einfach. Niemand aus meinem Bekanntenkreis zählt zu den Opfern des Terrorismus. Ich kann es nachvollziehen, wenn jemand, der ihm nahe stehende Menschen bei Terroranschlägen verloren hat, solche Gefühle hegt. Fragwürdig wird es, wenn Personen in öffentlichen Ämtern ihre Freude in öffentlichen Erklärungen zum Ausdruck bringen, oder wenn eine jubelnde Menschenmenge sich versammelt - wie nach einem gewonnenen Fußballspiel.

Jörg Schönenborn, Chefredakteur des WDR, erklärte in den Tagesthemen: „Mein Verständnis von einem Rechtsstaat ist nicht, dass Mörder einfach abgeknallt werden." Meines auch nicht. Und wenn wir es - wie in der Talkshow bei Anne Will geschehen - als „pragmatisches" Vorgehen rechtfertigen, dann gehen wir damit den ersten Schritt eines Weges, an dessen Ende nichts Gutes kommen kann.

Ein merkwürdiges politisches Schauspiel durften wir nach der Tsunami-Katastrophe in Japan beobachten. Die Flutwelle selbst, die viele Opfer gefordert und große Zerstörung angerichtet hat, trat in der öffentlichen Wahrnehmung schnell in den Hintergrund, hinter die neue Ikone der Risikogesellschaft: Fukushima.

Noch im Herbst wurde unter großer öffentlicher Kritik der zuvor erreichte Konsens aufgekündigt und die Verlängerungen der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke durchgesetzt. Nach Fukushima habe sich nun die Situation völlig geändert. Nicht, dass viele Experten und große Teile der Bevölkerung bereits seit Jahrzehnten auf die Gefahr einer solchen Katastrophe hinweisen - erst Fukushima habe gezeigt, dass sie tatsächlich möglich sei, so Bundesumweltminister Röttgen.

Letztendlich ist die Frage der Atomenergie eine Frage der politischen Bewertung: Welches Risiko gehen wir damit ein, und welcher Nutzen steht dem entgegen? Es ist eine wirtschaftliche Frage - wer zahlt den Preis, und wie hoch ist er? Für einige ist es auch eine Prinzipienfrage - auch und gerade dann, wenn man so manches frühere Prinzip mittlerweile aufgegeben hat.

Viele Menschen erwarten inzwischen nicht mehr viel von der Politik. Eines würde man sich aber immer noch wünschen: einen klaren politischen Kompass der Verantwortlichen.

Fast unwichtig erscheinen dagegen die offenbar wieder zunehmenden Datenskandale. Sony, die UNESCO, Apples iPhone-„Programmierfehler", Facebook - in den letzten Wochen mussten wir einiges dazu lesen. Absurd wird es dann, wenn sich Datenkraken gegenseitig ihren unzureichenden Datenschutz in gesteuerten Kampagnen vorwerfen - und dabei auffliegen. Und selbstverständlich muss auch die Erschießung bin Ladens als Argument für die Vorratsdatenspeicherung herhalten.

Die BigBrotherAwards - auch ein Thema dieses Heftes - haben sich darum verdient gemacht, besonders herausragende Fälle von Datenschutzverletzungen aufzuzeigen. An ihnen sind sowohl öffentliche Stellen - mit der Volkszählung oder mit der rechtlich fragwürdigen Überwachung von Demonstrationen - als auch Wirtschaftsunternehmen - mit der immer intensiveren Ausforschung ihrer Kunden - beteiligt. Auch hier brauchen wir wohl einen Kompass: einen ethischen. Nachdem in den 90er-Jahren ethische Aspekte im Zentrum der Debatten um Informatik und Gesellschaft standen, sind sie inzwischen - von einigen verdienstvollen Ausnahmen abgesehen - merklich hinter eher praktisch orientierte Diskussionen zurückgetreten. Vielleicht der richtige Zeitpunkt, um daran zu erinnern: In der Retrospektive drucken wir dieses Mal einen Beitrag der FIfF-Gründungsvorsitzenden Christiane Floyd ab. Science and Ethics war 1991 ihr Beitrag zur Tagung Challenges in Berlin. Ich würde mir wünschen, dass der Beitrag einen Auftakt zu einer wieder stärkeren Diskussion der nichttechnischen Grundlagen unserer Disziplin bildet: in einer Zeit, in der sich selbst Universitäten lieber in ihrer Anlehnung an das Bostoner MIT modisch - oder doch nur provinziell? - Institut für Technologie nennen, als die universellen Aspekte der Wissenschaft auch durch ihren Namen zu betonen.

Zuletzt betrat noch eine neue netzpolitische Initiative das Parkett. Die Gründung des Digitale Gesellschaft e.V. rief ein breites Echo in der „Netzgemeinde" hervor - nicht nur ein positives. Man mag nun den vereinnahmenden Namen der Vereinigung kritisieren, oder einer kampagnenorientierten Politik als Politik „von oben" skeptisch gegenüber stehen. Es bleibt wichtig, unsere eigenen Grundsätze einer bürgerrechtlichen und demokratischen (Netz-) Politik zu verwirklichen, und gleichzeitig effektive Strukturen aufzubauen („im Schlauchboot wird nicht abgestimmt", so einmal ein Greenpeace-Aktivist). Doch zum wiederholten Mal: Netzpolitik ist auch Gesellschaftspolitik und folgt unterschiedlichen Interessen. Es gibt keine „richtige" Netzpolitik. Ob der Weg der Digitalen Gesellschaft der richtige ist, wird sich zeigen. Ich wünsche ihr dabei viel Erfolg.

Mit FIfFigen Grüßen, Stefan Hügel