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Projektorganisation in der IT- u. Medienbranche

Kalkowski, Peter; Mickler, Otfried: Projektorganisation in der IT- u. Medienbranche. Edition der Hans-Böckler-Stiftung 141, Düsseldorf 2005. ISBN 3-86593-018-2, 420 Seiten, 28,00 Euro

Rezension von Dagmar Boedicker

Das Buch berichtet über die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Projektorganisation im Bereich qualifizierter Dienstleistungsarbeit“, das von August 2002 bis Februar 2004 am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover durchgeführt wurde. Bevor Sie sich gelangweilt abwenden, weil die Ergebnisse ja schon soo alt sind – das sind sie nicht, sie sind aktuell! Und das Buch hat möglicherweise mehr mit dem Thema dieser FIfF-Kommunikation zu tun als auf Anhieb ersichtlich. Die Erfahrungsberichte der Führungskräfte und Betriebsräte aus den explorativen Fallstudien werfen ein Schlaglicht auf die uns allen wahrscheinlich sattsam bekannten Arbeitsbedingungen in Projekten, auf die Führungsqualitäten des Projektmanagements und auf die Herausforderungen sowohl für Management, Beschäftigte und Interessenvertretung als auch implizit auf die Ergebnisse, die von solchen Arbeitsbedingungen erwartet werden können.

Vertragsperspektive

Die Autoren des Berichts fragen nach den sichtbaren und unsichtbaren Vereinbarungen und Verträgen im Arbeitszusammenhang, ihnen geht es vor allem um die „Frage nach der Kontraktualisierung wissensintensiver Arbeit und Arbeitsleistung in temporären Organisationen (Projekten) [...] Gefragt wurde [...] danach, wie Wissensarbeit betrieblich und überbetrieblich reguliert/kontraktualisiert wird (Regulationsmodus). Wir verstehen diesen Bericht als Beitrag zur Diskussion um die Konturen postfordistischer Arbeits- und Interessenregulation.“ (S. 25) Die Studie hat die Problemlage in zwei verschiedenen Branchen untersucht, der IT- und der Medienbranche. Bei allen Unterschieden überschneiden sie sich in den Grenzbereichen. Wo die IT-Branche nach dem idealen Projektmanagement und seiner Optimierung sucht, ist die Medienbranche stärker damit beschäftigt, viele freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Kooperations- und Vertragsverhältnissen in Projekten zu integrieren. Eine dritte untersuchte Gruppe sind die Berater, insgesamt sechs, davon drei gewerkschaftsnahe. Auch für diese Branche gelten besondere Regeln.

Wo es klemmt

Was sind die häufigsten Probleme bei IT-Projekten? Als Freiberuflerin arbeite ich in vielen Projekten und Unternehmen und habe viele Probleme hautnah erlebt, auch wenn oder vielleicht gerade weil mein Tätigkeitsfeld, die Dokumentation, am hinteren Ende der Projekte liegt. Ich habe all meine Erfahrungen in den Fallstudien wiedergefunden:

  • allgemein: fehlende Transparenz,
  • Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Kunden und Software-Produzenten,
  • unvollständige Anforderungsanalysen, Spezifikationen und Verträge,
  • Änderungs- und Erweiterungswünsche von Kunden, die sich schlecht ablehnen lassen,
  • unvollständige Abnahmebedingungen,
  • Schwierigkeiten bei der Kommunikation im Team und zwischen Projektmanagement und Controlling, 
  • beiderseitiges Unverständnis zwischen Entwicklung und Vertrieb, 
  • Komplexität größerer Projekte bei rechtlichen, Domänen-fachlichen und wirtschaftlichen Fragen,
  • Arbeitsüberlastung,
  • Selbstüberschätzung und Wunschdenken bei der Planung,
  • verborgene Eigeninteressen der verschiedenen Beteiligten am Projekt,
  • Ressourcenkonflikte,
  • falsche oder fehlende Werkzeuge und Qualifikation, ...

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Größe von Projekten ein ganz entscheidender Parameter für ihr Gelingen ist – sie hat oft Einfluss auf die Qualität der entstehenden Software.

Ein Beispiel zeigt der Bericht aus einem international agierenden Unternehmen, mit mehreren Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das I&K-Systeme plant, baut und betreibt. Es hat ehrgeizige Internationalsierungspläne, macht aber zum Zeitpunkt der Studie noch 90 % seines Umsatzes in Europa. Und es steht unter Kostendruck, „bietet [...] nach Meinung des Mutterkonzerns seine Leistungen zu teuer an und ist in den letzten Jahren unterhalb der vom Konzern geforderten Umsatzrendite geblieben.“ (S. 77) Das klingt nach einem börsennotierten Unternehmen, dessen Gestaltungsspielraum wohl ähnlich knapp bemessen ist wie der mancher anderer Softwarehäuser mit einer ähnlichen Konstellation. Als Großunternehmen leistet es sich eine ausgeklügelte Projekt-Management-Organisation (PMO), inklusive Risk Review Board für sehr große und wichtige Projekte. Es ist besetzt mit Spezialisten für Projekt- und Risikomanagement, einem Kaufmann und dem Projektauftraggeber vom Vertrieb, bei sehr großen Projekten einem Vorstandsmitglied und fallweise Fachleuten für Systemintegration.

Der Vertrieb und die Entwicklung haben klassische Reibungsflächen, die sich aus ihren Aufgaben und Ergebnissen entwickeln. Zitiert aus Sicht der Betroffenen: „Man müsste also den Vertriebler zwingen, mehr auf den Projektmanager zuzugehen, und Projektmanager müssten mehr vertrieblich orientiert tätig sein.“ (S. 87) Ein Weg dorthin ist die Erfolgsbeteiligung auch der Projektmanager, sie macht 30% des Gehalts aus. „Ein Projekt wird als ein Wirtschaftsunternehmen auf Zeit begriffen.“ (S. 99) Bei einem IT-Dienstleister mit ausschließlich Großkunden liest sich das Verhältnis etwas anders: „Projektmanager neigten zudem zu extensiven Machbarkeitsstudien und technischem Perfektionismus, die im Konflikt stehen zu den ökonomischen Anforderungen, wie sie vor allem vom Vertrieb vertreten werden.“ (S. 141)

Es ist kein Wunder, dass sich der ökonomische Druck auf den Vertrieb und die Qualitäts- und Managementanforderungen im Projektmanagement oft krisenträchtig verbinden, solange es an Mechanismen fehlt, Projekte vernünftig einzuschätzen, und wenn im Management der Auftraggeber die „Geiz-ist-geil“-Mentalität vorherrscht. Die Ökonomie kennt das Problem unvollständiger Verträge, die Informatik das der unvollständigen Anforderungen oder Spezifikationen und Kalkulationen. Beide erhöhen bei fehlender Kooperationsbereitschaft zwischen Herstellern und Kunden die Transaktionskosten. Erhöhte Transaktionskosten verringern den Gewinn, diese Folgen gibt das gehobene Management nach unten weiter, der Druck auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wächst. Die Autoren stellen neben den ausführlichen Rahmenbedingungen in den Unternehmen und Projekten auch dar, wie sich Arbeitssituation und Interessen der verschiedenen Unternehmensebenen unterscheiden, ob und wie gewerkschaftliche Beteiligung stattfindet und ob es eine betriebliche Interessenvertretung gibt. Die Fallstudien sind systematisch strukturiert und beschreiben Ressourcenmanagement, Organisationskonzepte, Entgelt- und Beurteilungsregelungen, Führungskonzepte, Projektarten und vieles mehr.

Zusammengefasst: Die Fallstudien sind konkret und nachvollziehbar, für IT-Beschäftigte werden sie viel Vertrautes, aber sicher auch Anregungen enthalten. Die Gestaltung des Buchs ist angenehm und lesefreundlich. Leider hat es aber keinen Index, und es ist auch nicht sehr stabil gebunden, die ersten Seiten lösen sich bei mir schon. Es ist trotzdem sehr informativ und aktuell, trotz des Erscheinungstermins 2005.

Kalkowski, Peter; Mickler, Otfried: Projektorganisation in der IT- u. Medienbranche. Edition der Hans-Böckler-Stiftung 141, Düsseldorf 2005. ISBN 3-86593-018-2, 420 Seiten, 28,00 Euro