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5 Freuen sich die Patientinnen und Patienten auf die eGK?

 

Interview mit Christoph Kranich (VZ Hamburg)Kapitel 5 Interview


Ursula Müller für das FIfF: Was ist Ihre Aufgabe bei der Verbraucherzentrale? Wieso beschäftigen Sie sich mit der eGK?

Christoph Kranich:

Unsere Aufgabe ist Patientenunterstützung und Patientenschutz im weitesten Sinne. Dazu gehört auch, Patienten vor unsinnigen und schädlichen Entwicklungen zu warnen. Und das Telematiksystem hinter der eGK halten wir für ein Projekt, das vielen Patienten Schaden zufügen kann. Denn Daten über Krankheiten sind die sensibelsten Informationen, die wir haben – mein Konto kann ich schnell wechseln, wenn die Nummer irgendwo missbräuchlich verwendet wird, vielleicht habe ich ein paar Euro dabei verloren; aber meine Krankheiten kann ich nicht tauschen, die bleiben bei mir und diskriminieren mich möglicherweise ein Leben lang, wenn sie der Versicherung, dem Arbeitgeber oder dergleichen bekannt geworden sind.

FIfF: Freuen sich die Patientinnen und Patienten auf die eGK?

Kranich: Unsere Freude hält sich in überschaubaren Grenzen. Und jeder, der vorausdenkt, sollte ebenfalls keine große Freude empfinden – schließlich schaffen wir mit der zentralen Speicherung von Krankheitsdaten ein Missbrauchspotenzial für unsere Kinder und Enkel. Selbst chronisch Kranke, die sich heute überwiegend über die Möglichkeiten, die die eGK ihnen bietet, freuen dürften, könnte das kalte Grausen packen, wenn sie darüber nachdenken, welchen Gefahren ihre Nachkommen einst ausgesetzt sein werden, wenn der Schutz ihrer Gesundheits- und Krankheitsdaten immer mehr ausgehöhlt sein wird.

FIfF: Welche Möglichkeiten der eGK können für chronisch Kranke von Vorteil sein?

Kranich: Die eGK ist zunächst für niemanden von Vorteil, denn sie kann am Anfang nur so viel wie die bisherige Krankenversichertenkarte. Später könnte positiv sein, dass der Apotheker sieht, welche Medikamente man nimmt. Auch die elektronische Patientenakte kann Vorteile haben, wenn z. B. Doppeluntersuchungen vermieden werden und der Übergang an Schnittstellen – z. B. vom Krankenhaus nach Hause – besser funktioniert. Die Patienten können aber auch erhebliche Nachteile haben. Zum Beispiel wenn eine Versicherung die Daten in die Finger bekommt oder der Arbeitgeber. Oder der, bei dem man sich gerade beworben hat. Oder oder oder…

FIfF: Doppeluntersuchungen vermeiden, heißt das, dass ich zukünftig z. B. bei Eingriffen keine zweite Meinung mehr einholen kann?

Kranich: Das wird schwieriger, jedenfalls solange das Recht auf eine zweite Meinung nicht endlich in einem Gesetz, einer Verordnung oder Richtlinie verankert wird – der Gemeinsame Bundesausschuss hätte das schon seit 2004 regeln sollen. Mit der elektronischen Patientenakte, zu der die eGK der Zugang sein soll, wird man möglicherweise nicht mehr so leicht wie heute eine zweite Meinung bekommen – etwa indem man nach der Diagnostik um Bedenkzeit bittet und einfach nicht weiter hingeht. Dann werden die behandelnden Ärzte alles über den Patienten wissen.

FIfF: Wurden Patientinnen und Patienten an der Entwicklung der eGK beteiligt?

Kranich: Nein, nicht wirklich. Patientenvertreter sitzen im Beirat der gematik mit beratender Stimme, erzählen uns (den Patienten und ihren Unterstützern an der Basis) allerdings nicht viel davon. Die Befürworter der zentralen Krankheitsdatenspeicherung versprechen uns, dass die Patienten die Entscheidungsgewalt darüber haben sollen, wer welche gespeicherten Daten lesen darf. Das ist aber wohl nicht viel mehr als der Köder für die Skeptischen. Letztlich sind die eGK und die vernetzten Computer dahinter ein gigantisches Projekt der Wirtschaftsförderung, das uns mit teils guten, überwiegend jedoch schlechten Argumenten verkauft wird.

FIfF: Warum sind Sie skeptisch im Hinblick auf die Entscheidungsgewalt über die Gesundheitsdaten?

Kranich: Die Vergabe differenzierter Berechtigungen wird nur jüngeren Menschen gelingen, die täglich mit Computern umgehen, viele werden Hilfe brauchen. Sie sollte aber auf keinen Fall nur über Ärzte und deren Heilberufe-Ausweis möglich sein, denn dann wäre die Entscheidungsgewalt nicht wirklich in den Händen der Patienten.

FIfF: Die PatientInnen sollen beim Arzt durch Zustimmung selbst entscheiden können ob ihre Daten gespeichert werden. Wie schätzen Sie ein, dass die Patienten die Tragweite dieser Entscheidung kennen und entsprechend nutzen?

Kranich: Viele werden sich, ohne viel zu bedenken, überreden lassen. Andere werden die Vorteile, die ihnen versprochen werden, zu schätzen wissen. Wieder andere werden kritisch nachfragen und sich auch mit möglichen nachteiligen Folgen auseinandersetzen. Die wenigsten werden allerdings so weit in die Zukunft denken, dass sie auch die Folgen für die nächste Generation ins Auge fassen: Wenn das zentrale elektronische Speichern und massenhafte Austauschen so sensibler Daten eines Tages zur Normalität wird, kann man sich dem nicht mehr entziehen und es entsteht ein faktischer Zwang. Und wenn dann die Sicherheit zu wünschen übrig lässt, kann es den vielfachen Super-GAU geben.

FIfF: Versicherungen, Arbeitgeber und Andere haben Interesse an den Gesundheitsdaten von PatientInnen. Wie können sie an die Daten kommen?

Kranich: Die beste Quelle für Versicherungen und Arbeitgeber ist wahrscheinlich die "völlig freiwillige" Auskunft des Patienten, der sich keine Gedanken macht, welche Folgen das haben kann, und der sich auch nicht überlegt, welchen Praktiken er da zur Normalität verhilft…

FIfF: Die eGK soll durch eine PIN vor Missbrauch geschützt werden. Beim Test gab es damit Probleme z. B. bei der PIN-Eingabe. Löst die ersatzweise Eingabe durch den Arzt das Problem?

Kranich: Sie löst das eine, schafft aber ein anderes: Was ist, wenn ich meinem Arzt nicht so umfassend vertraue? Da wird der Arzt wieder zum Halbgott, anstatt zum Partner.

FIfF: Helfen die Notfalldaten im Notfall wirklich?

Kranich: Nein. Nothelfer schauen nicht auf Karten, sie stabilisieren den Kreislauf und leisten Notfallmedizin. Dabei richten sie sich nach dem, was sie sehen und messen, nicht nach Daten, für die sie erst ein Lesegerät brauchen. Da wäre es sinnvoller, sich einen Notfallpass in Papierform oder in einer Plastikhülle um den Hals zu hängen.

FIfF: Wie kommen Behinderte mit der eGK klar?

Kranich: Kommt drauf an, wie sie behindert sind und wie z. B. die E-Kioske aussehen, die der Bevölkerung den Lese-Zugang zur eGK verschaffen sollen.

FIfF: Sie warnen vor den Gefahren der eGK. Wie werden die Patienten denn aufgeklärt? Die Ärzte werden keine Zeit dafür haben, die Krankenkassen und die Bundesregierung reden nur von den Vorteilen und die Verbraucherzentralen sind nicht immer die naheliegenden Anlaufstellen für die PatientInnen.

Kranich: Nicht nur Verbraucherzentralen sind aktiv. In Hamburg warnt das Forum der Patientenorganisationen, zu dem mit der Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen auch die Selbsthilfe der chronisch Kranken gehört. Bundesweit gibt es ebenfalls Zusammenschlüsse mit breiter Patientenbeteiligung, zum Beispiel das Patient­Innenbündnis eCard (über www.bagp.de) oder die Aktion Stoppt die e-Card (www.stoppt-die-e-card.de), bei der auch etliche Ärzteorganisationen mitmachen.

Freie Ärzteschaft e.V.

Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen Foto: Freie Ärzteschaft e.V.


FIfF: Wie sollte die Aufklärung aussehen?

Kranich: Die PatientInnen sollten nicht nur über die Vorteile informiert werden, die das System von eGK und Telematik heute zum Beispiel für chronisch Kranke haben kann, sondern vor allem auch über die Gefahren, die langfristig mit einer Speicherung von Krankheitsdaten auf zentralen Servern drohen. Haben wir nicht auch unsere Kontodaten bisher für absolut sicher gehalten – bis dann dubiose CDs auftauchten, die man sogar im Internet für einige Hundert Euro kaufen konnte? Wenn das Gleiche mit Krankheitsdaten passiert, ist das um ein Vielfaches schlimmer. Denn meine Krankheiten kann ich nicht wie mein Konto einfach wechseln!

 

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FIfF: Vielen Dank für das Gespräch.

Interviewpartner


 

 

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